In seiner Studie „Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft: Wie die Individualisierung nachhaltig das Gesicht der Kirche verändert hat und weiterhin verändern wird“ geht Pfarrer Jost Herrmann auf Spurensuche und stellt verschiedene kirchliche, gesellschaftliche und politische Entwicklungen dar, die auf die Situation der Evangelischen Kirche Einfluss hatten und haben.
Online-Vortrag
Jost Herrmann stellt am Donnerstag, den 23. März seine Studie in einem Online-Vortrag vor. Anmeldung über den Titel der Veranstaltung (s. unten):
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Eine interessante Zusammenfassung. Die Formulierung „Kirche wird kundenfreundlicher“ stößt bei mir auf Widerstand, Gläubige sind keine Kunden, weil dies für mich implizieren würde, dass Kirche ein Stück weit beliebig wird, um „kundenorientierter“ zu sein. Gleichwohl ist es Aufgabe der Kirche, sich zu überlegen, wie sie Menschen heute noch erreichen kann. Großevents -wie der Kirchentag, der WGT-und ihre potentiellen Einflüsse werden nicht erwähnt. Die Individualisierung des Glaubens wird in dem Buch Gott 9.0 bei Gott 8.0 türkis ebenso thematisiert. Definitiv ist für mich richtig, dass Gemeindemitglieder lieber projektbezogen und individuell sich einbringen, als in Aufgaben der Gemeinde hineinzuspringen.
Kirche, ja bitte, aber nur, wenn ich von deren caritativen Leistungen profitiere und nicht selber gefordert bin, meinen Glauben an Gott zu leben.
Es stimmt. Das „EGO“ des Einzelnen zählt heute meist mehr als die „COMMUNIO“. Die christlichen Kirchen bestehen zwar aus einzelnen Menschen, die beiden großen Kirchen sind aber auch als Gemeinschaft aus vielen Gliedern angesehen. Dementsprechend ist es notwendig, diese Gemeinschaft auch in der Öffentlichkeit zu zeigen mit dem Gedanken: WIR sind eine Gemeinschaft, die mit ihrem Zusammenhalt bezeugt, dass Gott unser Weg und unser Ziel ist und nicht die Ablehnung christlicher Werte zum eigenen Vorteil. Man erinnere sich an die Fußballspiele in Corona-Zeiten ohne Fans. Es ist ein Unterschied, ob man in einem leeren Stadion spielt, oder vor heimischer Fankulisse. Erst dann, wenn dies in den beiden großen Kirchen in Deutschland wieder gesehen wird, man mitgerissen wird vom Gemeinschaftlichen, dann können die Glaubensgemeinschaften wieder echte dienende Kirchen werden. Meist existiert der Gedanke in unserer Gesellschaft: Kirche soll caritativ agieren im horizontalem Sinne. Haben wir den notwendigen Faden zu Gott schon abgerissen? Wo bleibt die Sehnsucht des Menschen nach dem Wirken Gottes in uns selber? Schaffen wir es, alleine diese Sehnsucht aufzubauen? Brauchen wir die Gemeinschaft anderer Gläubiger?
Wurde von den Kirchen jemals das Thema „Wie die Kirchen die Menschen während der Corona-Zeit seelsorgerlich im Stich gelassen haben“ bearbeitet? Da fielen nicht nur die Gottesdienste aus, es gab massive Einschränkungen bei Beerdigungen und Besuche fanden gar nicht mehr statt. Und dass in einer Zeit, wo es die Menschen wohl am nötigsten gehabt haben. Und jetzt wundert man sich über die steigenden Austrittszahlen, wo doch die Kirchen während der Corona-Zeit selbst am besten bewiesen haben, wie irrelevant sie sind! Das Schweigen zu diesem Thema ist sehr beredt…
Die Aussage im Merkur-Zitat „Glaube hat viel mit Heimat zu tun. Und viele Gläubige werden am neuen Ort oft nicht heimisch.“ kann ich als einen für mich wichtigen Punkt durchaus unterstützen und daran sind nicht allein die Pfarrer „schuld“.
In meinem Leben bin ich mehrmals beruflich umgezogen, jeweils meist so weit weg, dass die Heimatgemeinde nicht mehr sinnvoll erreicht werden konnte. In meiner Jugendzeit hatte ich in meiner Ursprungsgemeinde eine sehr starke Bindung, initiiert durch meine Eltern, die ebenso sehr gut eingebunden waren. Bereits während der Ausbildung in einer weit entfernten Stadt, litt diese Bindung bereits, blieb der Gemeinde aber weiter (leider oft gezwungernermaßen passiv) verbunden, bis diese Ende der 1990-er Jahre aus kirchenpolitischen Gründen mit einem anderen Verband zusammengelegt und aufgelöst wurde.
Die vielen neuen Gemeinden in vielen Städten, die ich als Ersatz suchte, waren/sind mir fremd, z.T. wurden andere Sitten und Gepflogenheiten (auch im Glauben) gelebt, bei denen es mir schwer war emotionalen Eingang zu finden und etwas bekanntes, „bewährtes“ zu finden und festhalten zu können. Ich fühlte mich als Fremdkörper und spürte dies, wenn ich z.B. als Neuer unwissend einen Stammplatz eines anderen Mitgliedes in der Kirchenbank „besetzte“ und dies zu spüren bekam. Soetwas kannte ich aus meiner Gemeinde nicht.
Mittlerweile habe ich selbst Familie. Da ich keine Bindung zu meiner städtischen Gemeinde habe (meine Frau als „zugeroaste“ erlebte übrigens ähnliches), haben unsere Kinder diese Bindung auch nicht. Gerade in den vergangenen 3 Coronajahren, war das sehr prägend. Ob sie in einer Gemeinde ihres künftigen Lebensmittelpunktes (wo auch immer), ohne der Erfahrung eines aktiven Gemeindelebens, eine Bindung eingehen werden, wird man sehen. Es würde mich auch nicht wundern, wenn diese beim ersten Gehalt eine Kirchensteuer entdecken und dieses „ungenutzte Abo“ abmelden wollen.
Der Flexibilisierungswahn in diesem Lande hat halt auch seine Konsequenzen, wenn Menschen aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden. Vermutlich wird das vielen Vereinen ebenso ergehen, denn auch dort wird es schwierig sein, in eine neue, fast geschlossene Gemeinschaft hineinzukommen; gerade in Bayern ist das schwer. Und wie in vielen Dingen: Hatten die Eltern keinen Zugang, sind deren Kinder für die Gemeinden/Vereine oft auch verloren, vor allem bei den vielen Alternativmöglichkeiten.
Der zweite Punkt (den ich für mich als ebenso wichtig sehe) ist, das viele Pfarrer es nicht schaffen, in ihren Predigten den Spagat zwischen der Bibel (mit seinen mündlichen Überlieferungen, mehrfach erfolgten Neuübersetzungen und -deutungen und z.T. wissenschaftlich widerlegten Inhalten) und der aktuellen Wirklichkeit zu schaffen. Fehlt vielleicht so ein Punkt in der theologischen Ausbildung? In meiner Familie gibt und gab es sehr viele Pfarrer und Pfarrerinnen. Bei den älteren, oft bereits im Ruhestand, war eine lebhafte Diskussion mit großem Erkenntnisgewinn möglich. Je jünger der Pfarrer, desto schwieriger wurde es. Warum das so ist, habe ich nicht ergründen können. Meiner Erfahrung nach schaffen gerade Pfarrer mit solch einer Gabe die Gemeinde zusammenzuhalten und auch neue Mitglieder zu finden, weil es ihnen möglich ist die Lebensweisheiten und Lösungsansätze aus der Bibel in die heutige Zeit zu transferieren. Und dazu gehört in meinen Augen auch, die Wissenschaft mit einzubeziehen und nicht „Gottes Wort, als ‚1:1 so aufgeschrieben‘ in der Bibel“ wörtlich zu nehmen, denn die Bibel entstand zu einer Zeit, bei der genau dieses Wissen noch nicht sehr weit entwickelt war, von Schrift in unserem Sinn mal ganz zu schweigen.
In meinem Bekanntenkreis erlebe ich immer wieder, dass die evangelische Kirche als Sprachrohr der Partei „Die Grünen“ wahrgenommen wird. […] Die Kirche sollte sich mehr auf ihre originäre Aufgabe, nämlich die Seelsorge konzentrieren und weniger mit einseitig provokanten politischen Äußerungen auffällig werden.